Anatol und Rèbeque   ·   Kapitel I: Geburt


Anatol:
Wohl die halbe Zeit war ich allein, begleitet nur vom grauen Ziegel, der mich dann und dann zu beraten suchte und ab und an wahllos Leute erschlug. Sie waren meine besten Freunde gewesen oder welche, die ich gar nicht kannte. All das sah ich gar nicht und erst, als sich in mir ein Gespür für Richtungen entwickelte, stellte ich ihn zur Rede und als er fliehen wollte, hielt ich ihn fest in dem traurigen Unverständnis, das meine Liebe war. Und als uns Zorn und Wut und Angst endlich verflogen waren, stellte ich meine Frage: Warum? Er sah mir kurz alles an, antwortete kurz und bündig, also, er schlug mich tot und ich wurde geboren.

Rèbeque:
Na, das klingt ziemlich ungereimt, doch, doch.

Anatol:
Klar

Rèbeque (zögert):
Wie war es, als Du tot warst?

Anatol:
Ich weiß es nicht, aber es kam mir nicht lange vor. Als ich gleich darauf zu mir kam, spürte ich, daß ich nicht mehr allein war, sondern in ihm steckte.

Rèbeque:
In ihm?

Anatol:
Ja, in dem grauen Ziegel. Aber er hatte sich völlig verändert - er meinte, ich hätte ihn verändert - ich fühlte, er hatte mich verändert, schließlich wußten wir, wir hatten uns verändert, seitdem sprechen wir, schauen, laufen wir gemeinsam, machen praktisch alles zusammen, nur nachts trennen wir uns manchmal, dann liegt er da, ist Stein und ich wandere durch und durch, bis wir uns in Träumen wiederküssen, aufstehen, einen Schritt machen, ausruhen, weitergehen.

Rèbeque:
Kann es sein, was ich glaube: Er ist wild nach Deinen Träumen?

Anatol:
Ja

Rèbeque:
Und Du bist wild nach seinen Schritten?

Anatol:
Ich glaube, Du hast recht.

Rèbeque:
...

Anatol:
Warum sagst Du nichts?

Rèbeque:
Was soll ich sagen? Das ich eifersüchtig bin? Weil Du mich verlassen hast und betrügst mit einem Stein?

Anatol:
Ich bin Teil eines Steines, ja, gerade das, was Du von mir siehst, das ist er. Ich bin hier drin und bewege ihn, wobei er mir zeigt, auf welchem Weg ich gehen kann durch diese steinige Welt.

Rèbeque:
Also bin ich Dir auch nur ein Stein auf Deinem Weg. Ich kann ja gehen. Bevor Du mich wegräumst.

Anatol:
Rèbeque. Sei nicht dumm. Und wenn Du ein Stein wärst, Du bist mir nicht im Weg.

Rèbeque:
Ich kann Dir nicht glauben. Du weißt doch gar nicht, wer ich bin. Wie kannst Du da solche Komplimente machen?

Anatol:
Ich habe Dir nur erzählt, woher ich gekommen bin und ich gebe zu, es fällt mir schwer, zu begreifen, daß es bei Dir und allen anderen Lebenden anders war. Nur eins, Rèbeque, ich kann Dich spüren, das wärmt mich und den Stein, bei Dir zu liegen oder einfach gehen und zu wissen, Dich wieder treffen zu können.

Rèbeque:
Armer Anatol, warum bist Du nur schizophren geworden? Hatte Dich denn niemand lieb? Weißt Du, Du tust mir gut wie ich scheinbar Dir. Aber da ist noch etwas anderes. Ich möchte mich mit Dir vereinigen, möchte Dich küssen, nur Du bist so entfernt von mir, beschäftigt, Deinen Stein zu ficken und Dich von ihm ficken zu lassen. Du kannst mich ..., ach, was sage ich, „ihr“ könnt mich doch gar nicht lieben, seid dauernd dabei, mich einzuschätzen und zu bewerten. Ich kann mir Eure Gespräche so richtig vorstellen. Weißt Du, das kann ich gar nicht brauchen.

Anatol:
Geh jetzt nicht, bitte.

Rèbeque:
Warum sollte ich? Was denkst Du eigentlich?

Anatol:
Du hast gesagt, Du kannst meine ..., kannst unsere Art nicht ertragen. Das kannst Du nicht brauchen. Du glaubst mir und es ekelt dich an. Und deshalb wirst Du gehen. Weil ich eklig bin.

Rèbeque:
Quatsch mit Soße. Ich bin selber eklig. Auf meine Weise. Vielleicht sind das alle. Jedenfalls kennst Du diese Seite noch nicht. Wenn Du sie siehst - und das wird später sein, viel später - wirst Du vielleicht gehen wollen. Wir werden sehen, ob Du Dich bis dahin so vergessen hast. Nein Anatol, ich denke nur klar und laut, aber noch werde ich bleiben.

Anatol:
Also wirst Du gehen?

Rèbeque:
Um Dich in Deinem Stein allein zu lassen? Hilflos wie Du bist? Wir werden sehen.

Anatol:
Ich bin nicht hilflos. Wir ergänzen einander. Eine Symbiose, weißt Du. Habe ich das noch nicht erzählt?

Rèbeque:
Ja, er läßt Dich sehen, er läßt Dich gehen und Du triffst für ihn die Entscheidungen wie und wohin.

Anatol:
Ja.

Rèbeque:
Anatol, eines Tages wird er wieder von Dir abfallen, alt und verbraucht, Dein Stein, voller Runzeln und Falten, kraftlos leigenbleiben und Du? Was wirst Du dann? Kommst Du in den Himmel oder in die Hölle? Du wirst sterben, Anatol.

Anatol:
Ja, das wirst Du auch.

Rèbeque:
Anatol!!!

Anatol:
Was ist denn los?

Rèbeque:
Sag das nie wieder.

Anatol:
Okay, weißt Du einen Ausweg?

Rèbeque:
Nein.

Anatol:
Du willst nicht sterben.

Rèbeque:
Ich werde nicht sterben.

Anatol:
Aber ich?

Rèbeque:
Wahrscheinlich ja, Du bist zu kalt geboren und ihr seid zwei geblieben, so sehr ihr Euch auch ergänzt, ihr bleibt gespalten und die Zeit ist der Keil, der Euch auseinandertreibt.

Anatol:
Könnte ich etwas tun?

Rèbeque:
Ja, nimm Deinen Blick vom Boden in die Sonne.

© rho spuerbar (1995)